MODE KUNST ARCHITEKTUR

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Mittwoch, 17. September 2014

Jörg Schuler und Ekkehard Jatzlau von Lennep: Das Rathaus in Ratingen, 1969 - 72

Brutalism, post-war modernism Ratingen ist eine wehrhafte Stadt im Nord-Osten Düsseldorfs, zu deren Verteidigung schon vor Jahrhunderten eine ringförmige Stadtmauer angelegt wurde. Auch heute noch umschließt die teilweise rekonstruierte Mauer die idyllische Altstadt mit ihren Fachwerkhäusern und der gotischen Kirche St. Peter und Paul, deren Fundamente sogar noch aus dem 8. Jahrhundert stammen. Besonders bedroht sahen sich die Ratinger in den Sechzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts, als ihre Stadt dem nahen Düsseldorf angeschlossen werden sollte. Aus dieser Zeit stammt auch der Plan, in Ratingen ein besonders trutzig wirkendes Rathaus zu bauen, das eng mit der Stadtmauer verwachsen sein sollte. Vielleicht lag es ja zu einem Teil tatsächlich an der massieve Einheit aus dem neu gebauten, modernen Betongebäude und der historischen Stadtmauer, am symbolischen Wert der Architektur, dass Ratingen schließlich selbstständig blieb und die Düsseldorfer unverrichteter Dinge wieder abzogen.

Das Ratinger Rathaus entstand in den Jahren 1969 bis 1972 nach Entwürfen von Jörg Schuler und Ekkehard Jatzlau von Lennep.  Wie ein Bergfried erhob sich das Verwaltungsgebäude mit seinen markanten Querstreifen über der Stadtmauer und gliederte sich mit seinen Nebengebäuden und dem mehreckigen Ratssaal elegant in die Ringmauer ein. Das Skulpturale des Betons bildete mit den unregelmäßigen Steinen des Wehrgangs eine Einheit, das Historische verband sich mit dem Modernen und die Nähe zu Gottfried Böhms Rathaus in Bensberg (1963 bis 1969, Link) war von den beiden Architekten durchaus beabsichtigt. Als „ modern, urban, exquisit, wenngleich auch etwas gewagt“ wurde das Ratinger Rathaus laut einem Artikel in der RP Online (Link) zur Zeit seiner Einweihung von den Ratingern bezeichnet. Diese Begeisterung für das moderne Betongebäude, das sich harmonisch mit dem mittelalterlichen Stadtbild verband und sich auf die lokale Architektur mit ihren Wehrtürmen und der gotischen Kirche Bezug nahm, liegt nunmehr vierzig Jahre zurück. Zurzeit kann man sich über eine Webcam den schon weit fortgeschrittenen Abriss des Ensembles live im Internet anschauen (Link).  


Was stattdessen entstehen soll ist klar: ein rechteckiges Gebäude mit einer gerasterten Fassade und hohen schmalen Fenstern (Link), das absolut gar nichts mit der Umgebung zu tun hat, außer der Tatsache, dass es universell einsetzbar ist und in gleicher Form in fast jeder deutschen Kleinstadt bereits schon steht. Die Gründe für den Abriss sind genau so klar: der Brandschutz und die vergammelte Fassade. Argumente des Architekten Jatzlau, dass man diese in den vierzig Jahren nicht ein einziges Mal gereinigt hat, werden überhört, genau so wie seine Aussage, dass im angeblich brandgefährlichen Foyer gar nichts brennen konnte.   

Ob die Ratinger Innenstadt durch den Neubau wirklich schöner wird und der Handel davon profitiert, wird ein Großteil der Besucher niemals erfahren. Das ESPRIT-Outletcenter liegt  weit außerhalb und man erreicht es, ohne die Kleinstadtidylle jemals zu betreten.
 



Brutalismus, Nachkriegsmoderne, Rheinland, Ratingen, Foto von Julia Zinnbauer

Meine Fotos des Ratinger Rathauses stammen aus dem Spätsommer 2013.